RACE BANNON: Spielt Langlebigkeit eine Rolle in der Fetischwelt?

RACE BANNON: Spielt Langlebigkeit eine Rolle in der Fetischwelt?

von Recon News

22 März 2021

Race Bannon AKA Mitglied PigMaster4 PigSlave ist ein Organisator, Schriftsteller, Lehrer, Redner und Aktivist für die LGBT, Leder/Kink, Polyamor-Community und HIV/STI-Prävention seit 1973. In diesem Artikel spricht Race über die Variable der langjährigen Zugehörigkeit zur Kink-Szene.

Einer der Sprüche, die man gelegentlich von Jungs hört, ist: „Ich bin schon seit [hier große Zahl einfügen] Jahren in der Szene" - damit versuchen sie, sich selbst als überlegen darzustellen. Es impliziert, dass ihre langjährige Zugehörigkeit zur Szene gleichbedeutend damit ist, dass sie besser Bescheid wissen über die Kink-Kultur, über Beziehungen, Fähigkeiten... nun ja, einfach über alles. Ich fechte diese Vorstellung an, zumindest zu einem gewissen Grad.

Natürlich kann Erfahrung von Vorteil sein. Wenn man einige Jahre in der Kink-Szene verbracht, sie beobachtet und mitgemacht hat, erhält man eine tiefergehende Sicht auf die Dinge. Zum Beispiel kann jemand, der viele Jahre in machtdynamischen Beziehungen verbracht hat, Erkenntnisse gesammelt haben, die denjenigen helfen können, die ganz neu dabei sind. Oder jemand, der seit über einem Jahrzehnt eine Peitsche gekonnt einsetzt, könnte einem Neuling in Sachen Prügelspiel vielleicht das eine oder andere zeigen.

Andererseits habe ich Typen erlebt, die schon seit Jahrzehnten in der Szene unterwegs sind und denen ich keinerlei seriöse Kink-Aktivitäten oder Beziehungen zutrauen würde. Und ich habe auch schon Jungs getroffen, die zwar ganz frisch in der Szene waren, aber in Bezug auf ihre Fähigkeiten und ihr Einfühlungsvermögen so manchen älteren Kerl in den Schatten stellten.

Ich behaupte dennoch nicht, dass ein gewisses Maß an Erfahrung in Sachen Kink nicht von Vorteil ist. Sicherlich kann es das sein, und das Wissen und die Erfahrung können von den jüngeren Typen oder Neulingen genutzt werden, um schneller zu lernen und zu verstehen. Ich glaube nur nicht, dass es klug ist, weiterhin davon auszugehen, dass je länger jemand in der Szene ist, desto mehr Fähigkeiten, Wissen oder Einsicht jemand haben muss. Das ist schlichtweg nicht wahr.

In unserer Szene, vor allem in der Lederszene im Vergleich zur Kink- oder Fetischkultur, findet oftmals eine Verehrung der so genannten Ältesten statt, selbst wenn diese Verehrung nicht durch den Werdegang oder Charakter einer Person zu rechtfertigen ist.

Mentoring ist etwas sehr Nützliches, besonders wenn jemand noch neu in einer Community ist oder neue Dinge lernen möchte. Jede Gemeinschaft hat ihre Art von Mentoring und es kann eine gute Möglichkeit sein, um neue erotische Bereiche zu erkunden. Die Gefahr besteht darin, dass man von der Unfehlbarkeit der Älteren ausgeht, anstatt jede Person individuell einzuschätzen und dabei zu betrachten, wie lange sie schon in der Szene ist, aber dies nicht als alleinigen Maßstab für die Beurteilung ihrer Kompetenz oder Weisheit zu nehmen.

Und was bedeutet das überhaupt: "in der Szene unterwegs sein"? Bedeutet das, dass jemand tief in verschiedene Bereiche der Kink- und Fetischwelt involviert ist, sowohl persönlich in seinem eigenen Leben als auch unter seinen Fetischfreunden? Oder bedeutet es, dass man sich einfach selbst als kinky identifiziert und nicht mehr macht, als sich gelegentlich seine Gear überzuziehen und in einer Lederbar abzuhängen? Beide Erfahrungswelten sind nicht gleichwertig und sollten nicht als solche behandelt werden.

Da ich selbst ein älterer Kinkster bin, fühlt sich die Ehrfurcht, die die Leute manchmal für meine mittlerweile 48 aktiven Jahre in der Szene haben, echt gut an. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es das nicht tut. Aber sollte ich deshalb annehmen, dass ich eine solche Ehrerbietung verdiene, nur weil ich in jungen Jahren in die Szene eingetreten und immer noch am Leben bin? Nein.

Stattdessen sollten ich und andere ältere Kinkster auf unsere spezifischen Hintergründe verweisen, die uns ein gewisses Maß an Rechtfertigung geben, uns in den Status eines Ältesten oder Mentors zu erheben. Unabhängig davon sollte Arroganz jeglicher Art, ob von Älteren oder Jüngeren, Erfahrenen oder Neulingen, als No-Go gesehen werden, wenn es darum geht, unsere erotischen Mitabenteurer zu beurteilen.

Habe ich wirklich ein umfassendes Wissen darüber, wie die Gemeinschaft der Kinkster funktioniert, oder habe ich dieses Verständnis nur durch das Herumhängen am Rande erlangt?

Sind meine BDSM- und anderen Kink-Fähigkeiten wirklich außergewöhnlich oder praktiziere ich schon seit Jahrzehnten die immer gleichen eintönigen Szenarien mit meinen Spielpartnern?

Vermitteln mein Charakter und meine Handlungen einen wahren Sinn für Anstand, Fairness und die respektvolle Umgangsweise mit allen, oder besitze ich ernsthafte Schwächen, die durch die Fassade verdeckt werden, welche durch die vielen Jahre, die ich vorweisen kann, entstanden ist?

Es gibt viele Fehlschlüsse und Vorurteile, die unsere zuweilen übertriebene Wertschätzung für Langzeit-Kinkster beeinflussen. Solche logischen Irrtümer wie die Berufung auf die Autorität oder das Mitläufertum können unser kritisches Denken trüben. Gruppendenken, Voreingenommenheit oder Halo-Effekt können unser Denken und Handeln in eine Richtung lenken, die nicht vertretbar ist. All diese logischen Irrtümer und Voreingenommenheiten finden sich in unserer Kink- und Fetischszene öfter, als wir zugeben möchten, und wir wären gut beraten, sicherzustellen, dass wir nicht in ihre Falle tappen.

Aber ja, es gibt Zeiten, in denen ein älterer oder erfahrener Kinkster anderen sehr viel Wissen zur Verfügung stellen kann, welches er auf seiner sexuellen Reise durch Prüfungen, Leiden und blaue Flecken gesammelt hat. Ich möchte die Vorteile der Erfahrung nicht abwerten. Ich möchte nur nicht, dass sich jemand von uns in der Annahme, dass Langlebigkeit gleichbedeutend mit Weisheit, Kompetenz oder Anstand ist, durch die Kink-, Leder- oder Fetisch-Gemeinschaft schlägt. Das wäre töricht.

Wir sollten die Älteren um Rat fragen, wenn es angemessen und gerechtfertigt ist, aber wir sollten nicht davon ausgehen, dass ein jüngerer oder neuerer Kinkster uns nicht auch einen großartigen Einblick und Anleitung geben kann. Nehmt jeden, den ihr trefft, für voll, basierend auf dem, was er macht und nicht auf dem, was er vorgibt zu sein.

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