RACE BANNON: Der Tag, an dem ich zum Switch wurde
von
Recon News
21 August 2020
Race Bannon AKA Mitglied PigMaster4PigSlave ist Organisator, Autor, Pädagoge, Redner und Aktivist in den Bereichen LGBT, Leder/Kink, Polyamorie und HIV/STI-Prävention seit 1973. In diesem Artikel beschäftigt sich Race damit wie es ist, in der Fetisch-Szene Versatile zu werden.
Es ist kein Geheimnis, dass ich ein Switch (Versatile in der Kink-Szene) bin. Das war aber nicht immer so. Es gab da eine Zeit, in der die Vorstellung, dass ich Vers sein könnte, in mir Unbehagen hervorrief - zumindest dann, wenn es um BDSM und Power Exchange ging.
Seitdem ich das erste Mal in der amerikanischen Lederszene in Chicago im Alter von 17 Jahren (Ja, ich habe mich als Minderjähriger in die Bars geschlichen) unterwegs war bis zur Mitte der 80er Jahre, identifizierte ich mich und war ich ausschließlich Top und Dom, vor allem, wenn es um Power Exchange jedweder Art ging. Beim Ficken und Blasen erkundete ich dann auch ab und an die Bottom-Seite, aber selbst das passierte selten.
Eines Tages änderte sich das. Nun ja, nicht innerhalb eines Tages. Ich hatte schon des längeren anregende Fantasien, mal Bottom oder sklave zu sein, während ich mir einen wichste. Diese Fantasien sollten sich allerdings erst Jahre später in Realität verwandeln.
Der wahrscheinlich einflussreichste Mann in meinem gesamten Kink-Leben ist Guy Baldwin, ein weltweit bekannter Lederkerl. Mitte der 80er Jahre waren Guy und ich in einer Master/slave-Beziehung. Ich war der Master. Guy nahm eine 2 ½-jährige Pause von der Funktion als überwiegender dominanter Ledermann und wir gingen eine außergewöhnliche Dom/sub-Beziehung ein.
Während dieser Zeit befanden wir uns auf einer großen BDSM-Party in Portland, Oregon. Wir hatten eine magische Szene, in der ich ihn festband und ihn hart auspeitschte. Im Anschluss daran, nachdem die Endorphine wieder auf Normallevel waren, packten wir unsere Gear zusammen und verschwanden in der Dunkelheit der Location.
Wir hatten eine offene Beziehung und Guy wollte sich nach anderen Kerlen im Dungeon umschauen. Später kam er dann zurück und sagte (und das ist bis heute einer der geilsten Sätze, die je jemand zu mir gesagt hat), „Ich habe gesehen, wer so alles da ist und du bist immer noch der interessanteste Kerl hier. Willst du ausgepeitscht werden?"
Guy's Erinnerung zufolge war sein Angebot nicht mit dem Hintergedanken verknüpft, mich zu dominieren, sondern eher um dieses unglaubliche Hochgefühl, das er fühlte, mit mir zu teilen - wie zwei spirituelle Reisende, die gemeinsam einen geheimen halluzinogenen Zaubertrank zu sich nehmen.
Nichtsdestotrotz war ich betäubt und angefixt zur gleichen Zeit. Das war das bisher direkteste und ernsteste Angebot für mich, ein Bottom bei BDSM zu sein. Aus irgendeinem mir bis heute unerfindlichen Grund, kam aus meinem Mund die prompte Antwort „Ja."
Das war für mich der Moment, bei dem ich mich in Anwesenheit von 200 Leuten als Switch outete.
Du denkst nun vielleicht, dass meine Switch-Abenteuer dann ohne weiteres weitergingen - da liegst du allerdings falsch. Ja, ich war jetzt „out", aber nach diesem Erlebnis zog es mich für eine längere Zeit zurück in meine bevorzugte Dom-Denkweise.
Ich hatte andere sklaven und subs nach Guy. Alle ermutigten mich, meine Bottom-Seite, alleine oder aber gemeinsam mit ihnen in Gruppensessions, auszutesten. Langsam fühlte ich mich als Switch wohler.
Ein paar Jahre später kontaktierte mich dann mein heutiger Slave (Doctatts bei Recon). Wir waren bereits Freunde seit zwei Jahrzehnten. Er kam auf mich zu, um mit mir über meine Erfahrung, sich zum Switch zu entwickeln, zu sprechen. Wie ich war auch er in erster Linie Top und Master und wollte die andere Seite austesten.
Zur selben Zeit beklagte ich bei meinen Freunden darüber, dass ich es vermissen würde, jemanden am Halsband zu haben. Ich gab diese Sehnsucht auf Facebook preis und Doctatts antwortete mit einem subtilen, aber dennoch offenen Kommentar, der mich dazu brachte, mit ihm letztendlich eine Master/slave-Beziehung einzugehen, die bis heute hält. Doctatts agiert immer noch primär als Top und Dom mit seinen anderen Beziehungen, lebt aber auch seine sub-Seite aus.
Ich führte meine Erkundungen als Switch fort, auch wenn ich zugeben muss, dass ich erst vor ein oder zwei Jahren endgültig damit zurecht komme, Switch zu sein. Die Gedanken darüber, was andere denken könnten, sind inzwischen nicht mehr vorhanden. In sexueller Hinsicht mache ich das, was mir Spaß macht.
Warum erzähle ich dir das? Weil ich ständig von Freunden, Vertrauten und mir unbekannten Personen höre, dass sie Probleme damit haben, ihre meist geheimen Fantasien als Switch auszuleben. Meine große öffentliche Präsenz scheint Männer mit dem Bedürfnis nach Beratung anzuziehen. Für gewöhnlich sind es Doms oder Tops, die Schwierigkeiten damit haben, sich als Bottom oder sub zu identifizieren, aber manchmal möchte auch ein Bottom oder sub sich darin versuchen, Top oder Bottom zu sein.
Basierend auf meinen persönlichen Erfahrungen und vielen weiteren, mit denen ich geredet und die ich unterstützt habe in ihrem eigenen Coming-Out-Prozess, habe ich zwei entscheidende Sachen gelernt.
Zunächst einmal ist der Prozess, sich selbst als Switch zu identifizieren, für gewöhnlich ein sehr langer. Wenn man bereits eine nicht unbeträchtliche Zeit exklusiv auf einer der beiden Seiten operiert hast, ist es ein komplizierteres Unterfangen, sein Mindset und seine Erwartungen auf diese neue Persönlichkeit anzupassen. Ich habe dafür Jahre gebraucht. Ich glaube, dass es bei vielen Kerlen Jahre dauert, bis sie Frieden damit finden, Vers zu sein, vorausgesetzt, Vers zu sein ist attraktiv für sie.
Des Weiteren ist es den meisten Männern letztendlich egal, ob du ein Switch bist, wenn die sexuellen Erfahrungen mit dir gut sind. Meine Angst davor, dass subs das Interesse verlieren würden, war nicht nur unbegründet, sondern das komplette Gegenteil passierte. Mehr subs als zuvor zeigten Interesse an mir. Ich erinnere mich daran, als ich meine Position auf Recon von 90/10 auf 50/50 änderte. Plötzlich war mein Posteingang voller als gewöhnlich und dieser Trend geht weiter. Als mein slave, Doctatts seine Position änderte auf 50/50, erlebte er das gleiche Phänomen.
Meine Theorie ist, dass ein hoher Prozentsatz derer, die vor allem auf der sub-Seite spielen, daran interessiert sind, einen Dom zu haben, der Empathie für die Denkweise des subs mitbringt. Unabhängig vom Grund scheinen nur wenige subs ein Problem mit meinem Switch-Status zu haben. Auch mehr Tops und Doms kommen auf mich zu und haben mit dem Status kein Problem. Manche sind auch angeregt bei dem Gedanken jemanden zu dominieren, der für gewöhnlich selber dominiert.
Solltest du einer der Kerle sein, der sich im Unklaren darüber ist, ob er seine Switch-Fantasien, die schon so lange im Kopf herumschwirren, ausleben soll, so hoffe ich, dass du den Schritt machst und dich traust. Ich habe es nie bereut, mich zu outen. Nicht ein einziges Mal. Die einzige Sache, die ich bereue ist, es nicht schon viel früher getan zu haben.
Race Bannon ist ein Organisator, Schriftsteller, Lehrer, Redner und Aktivist für die LGBT, Leder/Kink, Polyamor-Community und HIV/STI-Prävention seit 1973. Er hat zwei Bücher geschrieben, viele Artikel veröffentlicht, mit einer Vielzahl von Menschen gesprochen, den weltweit größten fetisch-freundlichen Psychotherapeuten- und Medizinervermittlungsdienst gegründet, er war Vorsitzender des „The DSM Project", welches die amerikanische Psychotherapeutengemeinschaft zum Umdenken bezüglich der Sicht auf BDSM anregte, gründete einen bahnbrechenden, alternativen, sich auf Sexualität fokussierenden Verlag, agierte als Radiomoderator mit dem Schwerpunkt Sex, bekam nationale und internationale Preise für seine Arbeit und trat in zahlreichen Dokumentationen auf. Im Moment schreibt er für den „Bay Area Reporter" auf seinem Blog.
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