OHBILLY: (Side)wechsel - Fetisch ohne Penetration

OHBILLY: (Side)wechsel - Fetisch ohne Penetration

von Recon News

06 Januar 2021

Von OhBilly vom Recon-Team

Beim schwulen Sex findet häufig eine eindeutige Abgrenzung statt - bist du ein Top oder bist du ein Bottom? Ja, es gibt Typen, die flexibel/vers sind, aber sie wechseln immer noch zwischen diesen beiden Rollen. Entweder genießt du es, penetriert zu werden oder zu penetrieren, oder beides. So wird man halt definiert.

Beispielsweise bin ich, seit ich meinen Anus für mich entdeckt habe, ziemlich besessen davon. Ich wurde geboren, um dort Sachen hinzuschieben. Ein kategorischer Bottom. Für viele Tops ist das Gegenteil der Fall. Sie lieben es zu ficken, zu rammen, zu nageln, zu hämmern, zu stoßen und so weiter und so fort. Und die Vers-Typen, na ja, die haben auch noch andere Möglichkeiten. Aber was ist mit denen von uns, die keine Vorliebe für eine der beiden Rollen haben? Diejenigen, deren Sexleben nicht von dieser Yin-Yang-Dynamik bestimmt wird? Diejenigen, die weder ficken noch gefickt werden wollen? Nun, diese Jungs können sich selbst als "Side" definieren.

Im November stellte mein Freund, Mentor, Kollege und Vertrauter, ThatSandy, die Frage auf Twitter, ob Jungs den Begriff "Sides" überhaupt kennen. Die Reaktionen darauf waren sehr unterschiedlich, von denen, die ihn schon mal gehört hatten, über die, die ihn noch nicht kannten, bis hin zu denen, für die er zwar neu war, aber auf sie zutraf. Aber wer sind Sides und was zeichnet diese Präferenz aus?

Im Jahr 2013 schrieb Joe Kort (Ph.D.) in der Huffpost einen Artikel mit dem Titel „Guys on The Side: Looking Beyond Tops and Bottoms" (Männer als Sides: Mehr als nur Tops und Bottoms). In dem Artikel erörtert er, dass nicht alle schwulen Männer durch das Merkmal der Penetration charakterisiert werden können; dass es eine alternative Präferenz gibt, die auf Schwänze in Ärschen verzichtet. Eine Neigung, die er als "Sides" bezeichnet. Er sagt: „Sides ziehen es vor, sich zu küssen, zu umarmen und sich auf Oralsex, Rimming, gegenseitige Masturbation und Reibung zu konzentrieren... um nur ein paar der sexuellen Aktivitäten zu nennen, die sie genießen. Diese Männer mögen praktisch jede sexuelle Praxis, abgesehen von der analen Penetration..." Obwohl er in dem Artikel nicht klarstellt, warum er den Namen "Sides" gewählt hat, ist die Definition im Gegensatz zum Top/Bottom-Spektrum leicht zu verstehen.

Im Laufe meiner langen, wechselvollen sexuellen Geschichte habe ich eine Reihe von Jungs kennengelernt, die ich rückwirkend als Sides bezeichnen würde. Als jemand, der als Teenager darauf brannte, Analsex zu erleben, habe ich ihre Präferenz mit verwirrter, fragender Akzeptanz begrüßt. Ein Pärchen, das ich kannte, war seit 10 Jahren zusammen und hatte noch nie Analsex (obwohl sich später herausstellte, dass nur einer von ihnen ein Side war und der andere seine Bedürfnisse andernorts auslebte). Ich fand nichts falsch daran, keinen penetrativen Sex zu haben, ich sah es nur nicht unbedingt als das sexuelle Gesamtpaket an. Anscheinend ist das ein weit verbreitetes Missverständnis.

„Die Vorstellung, dass Penetration der Hauptbestandteil von Sex ist, wird ständig durch Mainstream-Pornos, Sexualaufklärung und sogar durch die öffentliche Meinung verstärkt", sagt NecroHardware, der sich selbst als Side identifiziert, „Penetration, die als verpflichtend für queeren Sex angesehen wird, spiegelt oft den gesellschaftlichen Druck wider, Sex zu haben, der den Sex von Heteros nachahmt". Ein anderer, frisch geouteter Side, AddictedtoRopes, stimmt dem zu. Seiner Meinung nach sind sich Schwule und Heteros sehr ähnlich, wenn es um die Einstellung zu Sex mit Penetration geht.

In diesem Punkt geht Necro noch weiter und meint, dass es in vielerlei Hinsicht (vielleicht auch widersprüchlich) queerer ist, ein Side zu sein, als als Top oder Bottom definiert zu werden. Er ist der Meinung, dass durch die Eliminierung von penetrativem Sex die heteronormativen Vorstellungen von Sex aus dem Weg geräumt werden. Er glaubt, dass die Nachahmung der archaischen Heterosex-Dynamik - der Unterwürfige ist der Bottom, der Dominante ist der Top - problematisch sei und dass es durchaus gesund sein kann, sich davon zu distanzieren.

Nach Sandys Tweet habe ich Necro und Addicted kontaktiert, da sie beide darauf reagiert hatten und erzählten, dass sie sich beide als Side identifizieren würden. Ich war überrascht, als ich das sah, da ich zuvor Annahmen darüber getroffen hatte, welche Rolle jeder von ihnen wohl einnehmen würde. (Als jemand, der oft fälschlicherweise als Top abgestempelt wird, hätte ich merken müssen, dass ich mich mit derartigen Annahmen lächerlich mache.) Vermutungen über die bevorzugte Rolle eines Mannes aufgrund seines Aussehens zu machen, ist weit verbreitet und etwas, das viele von uns tun, aber nur selten spielt der Aspekt, dass jemand ein Side ist, eine Rolle.

Necro und Addicted sind zwei bekannte Gesichter in der Fetischszene - Necro zeigt sein Fetischleben auf Twitter und Addicted ist oft auf Kink-Events auf der ganzen Welt zu finden, wo er viele bereitwillige Männer fesselt. Da sie zwei bekannte Kinkster sind, war ich neugierig zu erfahren, ob sie das Gefühl haben, dass der Analverkehr in der Fetischwelt mehr oder weniger wichtig ist, im Vergleich zur schwulen Blümchensex-Welt.

„Es kommt darauf an, welchen Teil der Kink-Welt du betrachtest", erzählt mir Necro, „Wenn du in der Fisting-Szene unterwegs bist, dann ist es enorm wichtig. Aber wenn du hauptsächlich ein Gear-Kinkster bist, kann Anal auch schon mal in den Hintergrund treten, zugunsten von Ästhetik und visueller Erregung." Er merkt auch an, dass die schwule Blümchensex-Welt näher an der Hetero-Welt ist und daher eher dazu neigt, der heteronormativen Top/Bottom-Dynamik zu folgen, anstatt einen "queeren" Sinn für Sexualität zu entwickeln und zu erforschen.

Addicted hingegen hat diesbezüglich eine andere Sichtweise. „Leider ist das sehr, sehr wichtig. Ich habe den Überblick verloren darüber, wie viele Jungs anfangs an mir interessiert waren, aber als sie entdeckten, dass ich nicht auf Anal stehe, ihre Meinung änderten und nicht mehr mit mir spielen wollten." Er fügt hinzu: „Es ist sogar so bedeutend in der Fetisch-Welt, dass ich in mein Profil folgendes schreiben musste: 'Ich verzichte auf Penetration in meinen Sessions'. Dennoch erhalte ich nach wie vor viele Nachrichten, wie zum Beispiel 'Was machst du, nachdem du mich gefesselt hast? Mich hart ficken?'. Wenn ich nein sage, fragen sie 'Also ist es NUR Bondage?'". Was diese Typen nicht wissen ist, dass Bondage für Addicted der Sex IST. Für ihn ist es kein Vorspiel vor einem Fick, es ist alles Teil des Haupterlebnisses.

Ich wollte dann sozusagen noch tiefer eindringen in die Materie, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was jeder von ihnen zulässt. Ficken ist immerhin nicht die einzige Aktion, die unsere Ärsche erfahren können, also wollte ich wissen, ob Arschspiele möglich sind.

„Oh JAAAA. Ich liebe Analspiele!", lacht Addicted. Ich frage ihn, was in diesem Fall den Unterschied zur analen Penetration ausmacht. Er antwortet: „Ist ein Smartphone und ein Computer das Gleiche? Ist Netflix und ein Kino das Gleiche? Ist Arschspiel und Anal das Gleiche? Ein großes Nein auf alle Fragen!" Er fährt fort: „Arschspiel, Rimming - was ich liebe - Fisting, Face Sitting, all das ist nicht anal. Als Top sind Toys für den Arsch genau das... Toys. Als Bottom können Toys Dinge tun, die ein Penis nicht kann: vibrieren, mit Cockringen versehen, an ein E-Stim-Gerät angeschlossen werden, als "Demütigungs"-Spielzeug in der Öffentlichkeit benutzt werden. Fazit: Wenn Arschspiele dasselbe wären wie Analsex, würde die Industrie mit Dildos, Plugs, Prostatamassagegeräten etc. nicht so viel Geld verdienen!"

Necro fügt hinzu: „Ich möchte das hier laut und deutlich kundtun: ICH LIEBE RIMMING. Es ist so ein geiles Gefühl, einen gutaussehenden Daddy auf meinem Gesicht sitzen zu haben, während ich ihn verwöhne." Er merkt auch an, dass es zutiefst lustvoll und bereichernd sein kann, den Körper eines Menschen (besonders seinen Arsch) auf nicht-penetrierende Weise zu erkunden, was sogar zu erfüllenderem Sex führen kann, als nur den Arsch gestopft zu bekommen.

Es gibt eine Frage, die ich unbedingt stellen wollte, und ich denke, dass es für viele die wichtigste Frage ist, die man einem Side stellen kann... warum ist Anal nichts für dich?

„Warum mögen manche Menschen keine Rote Beete? Viele andere Menschen mögen sie doch. Es ist einfach Geschmackssache", sagt Addicted, „Wenn du Anal magst, wird es wahrscheinlich schwer für dich zu verstehen sein, aber die Erklärung ist ganz einfach: Ich mag es einfach nicht. Anal bewirkt bei mir gar nichts. Es törnt mich nicht an, macht mich nicht hart. Anal ist meine Rote Beete", lacht er.

Das ist eine einfache Antwort, die kaum einer Erklärung bedarf. Es ist einfach nichts für ihn. Für Necro ist die Antwort ein wenig komplexer. „Die Sache ist die, Anal kann durchaus etwas für mich sein. Ich denke, es ist wichtig, dass diese Begriffe als eine lose Kategorisierung dienen und nicht als strenge Definition... Ich habe und kann anal spielen und finde es angenehm, aber im Großen und Ganzen ziehe ich es vor, andere Sachen zu machen, wie zum Beispiel Oral." Necro verrät dann, dass sein Status bzw. seine Rolle als Side auch mit seinen früheren Erfahrungen mit Anal verbunden ist.

[Trigger Warnung: Sexueller Missbrauch] „Meine erste Beziehung war geprägt von sexuellem Missbrauch. Ich wurde oft unter Druck gesetzt oder dazu gezwungen, der Bottom zu sein und wenn ich es nicht tat, wurde ich mental manipuliert, sodass ich dachte, es sei falsch oder schlecht, es nicht zu sein. Inzwischen war ich in Therapie und habe angefangen, diese Emotionen zu verarbeiten, aber diese mentalen Narben können lange bleiben und obwohl ich natürlich weiß, dass alles in Ordnung ist, reagiert mein Körper mitunter so stark, dass es sehr unangenehm wird, Bottom zu sein." [Ende des Triggers]

Aufgrund des Missbrauchs, den er erlebt hat, lässt er sich oft nicht auf Analverkehr ein. Er möchte auch ausdrücklich klarstellen, dass nicht alle Sides aufgrund eines Traumas Sides sind. Neben Addicted haben auch viele andere einfach keinen Spaß an Anal. Andere Gründe, die ich bereits gehört habe, sind der hygienische Aspekt oder in manchen Fällen auch medizinische Faktoren, die eine Penetration schwierig oder sogar unmöglich machen.

Und wie Necro es ausdrückt: „Die Vorbereitung für den Analverkehr ist sehr aufwendig und es ist oft einfacher und spontaner, wenn mich stattdessen jemand in den Hals fickt." Seinen Standpunkt kann ich durchaus verstehen.

Ich fragte mich also, ob sie den Begriff "Sides" als Teil ihrer Identität verwenden würden. „Ja, sicher doch", sagt Addicted. Er hatte erst durch den Tweet von ThatSandy von dem Begriff erfahren und misst ihm aktuell noch keine große Bedeutung bei. „Ja und nein", sagt Necro, „Das Problem mit dem Begriff Sides ist, dass viele Leute immer noch nicht wissen, was er bedeutet, deshalb muss man immer, wenn man ihn benutzt, erklären, worum es geht."

Es gibt ein gewisses Stigma, wenn man als schwuler Mann nicht auf Analsex steht. Ich habe von Selbsthilfegruppen für Männer gehört, die Schwierigkeiten und Ablehnung erfahren haben, weil sie nicht auf Analsex stehen, also kann es durchaus für einige eine Form der Ausgrenzung sein.

Meine Hoffnung ist, dass nach der Lektüre dieses Artikels ein oder zwei weitere Sides erkennen, dass sie einen Begriff haben, um ihre Präferenzen zu definieren - sofern sie das wollen. Ich glaube, dass es in Wahrheit mehr Jungs gibt, die sich als Sides identifizieren, als ich ursprünglich dachte. (Am Ende des Tages, nur weil ich nicht genug Schwänze in meinen Arsch bekommen kann, bedeutet das nicht, dass andere diesen Standpunkt teilen). Je mehr Jungs den Begriff Sides benutzen, desto mehr Leute werden verstehen, was er bedeutet. Sides werden weniger Gespräche führen müssen, in denen sie "nein" sagen müssen, und die Wahrscheinlichkeit wird geringer, dass Tops und Bottoms jemandem hinterherlaufen, der eigentlich nach etwas ganz anderem sucht.

Unsere Definitionen von Sex und Sexualität verändern und erweitern sich ständig, und je offener wir über unsere Vorlieben sprechen können, desto besser geht es uns allen... und desto einfacher wird es sein, Gleichgesinnte zu finden, mit denen wir Spaß haben können.

Wenn auch du über Fetisch oder Kink in einem Mitgliederartikel schreiben möchtest, schicke deine Ideen oder einen ersten Entwurf an: social@recon.com

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