MITGLIEDER-INTERVIEW: tn1tran
von
Recon News
24 Februar 2021
Was bedeutet Fetisch für dich?
Fetisch ist für mich die Schnittstelle zwischen Fantasie und Realität. Es lädt dazu ein, sich selbst zu erforschen, die eigenen Bedürfnisse und die der anderen zu verstehen und die eigenen Wünsche in einem angenehmen und aufgeschlossenen Umfeld auszuleben. Es bedeutet Selbstbefähigung durch Perversion und die Möglichkeit, sich mit gleichgesinnten Außenseitern jenseits der konventionellen Normen zu vernetzen.
Was sind deine Hauptfetische?
Das variiert! Obwohl ein Großteil der Gear, die ich kreiere, von Sportswear beeinflusst ist, wird die Scally- und Skinhead-Ästhetik immer eine starke Vorliebe bzw. Kink für mich sein.
Zurzeit bin ich sehr angetan von Leder, Handschuhen, Motorrad- und Trial-Ausrüstung und Schutzkleidung, Gesichtsbedeckungen wie Masken und Helme, und natürlich Metall. Obwohl ich (noch) kein Motorrad besitze, wollte ich immer schon mal eine Lederkombi mit passendem Helm haben. Ich schätze, es ist der Anonymitätsfaktor, der mich fasziniert, und die Tatsache, dass man sich in der Kleidung quasi verstecken kann. Das Tragen von Masken, Visieren und Helmen ermöglicht eine gewisse Flucht vor dem eigenen Ich - die Möglichkeit, mit einer anderen Person nahezu anonym zu verkehren, ist für mich sehr reizvoll. In Puncto Autismus: Ich führe es oftmals darauf zurück, dass ich Autist bin und in einem Ganzkörperanzug eingesperrt zu sein und mein Gesicht unter einer Maske zu verbergen, kann vor einer möglichen Reizüberflutung helfen. Ich fühle mich dadurch sicherer, stärker und viel selbstbewusster. Schlagspiel, Wrestling und rauer Körperkontakt sind enorm anregend, insbesondere das Schlagspiel in Kombination mit schwerer Kleidung erregt mich und macht mir viel Spaß.
Woher kommt die Lust auf Fetisch?
Meine früheste Erinnerung an eine Fetischnacht war dieser queere Do-It-Yourself Fetischraum in Deptford vor etwa 12 Jahren. Es war in erster Linie eine Nacht mit verschiedenen Darbietungen und ich kann mich noch gut daran erinnern, dass in verschiedenen Bereichen des angemieteten Pubs unterschiedliche Dinge stattfanden. In einem Bereich wurden Pornos gezeigt, in einem anderen wurde eine Ganzkörper-Suspension durchgeführt. Der größte Reiz bestand für mich darin, in einem queeren Raum zu sein, in dem das Hauptaugenmerk vor allem auf der Begegnung und dem Austausch mit anderen Menschen lag. Ich konnte sehen, wie andere ihre Outfits nutzten, um ihr wahres Ich auszudrücken und lernte auch die verschiedenen Codes und subtilen Symbole kennen, die anzeigten, worauf verschiedene Menschen standen oder was sie möglicherweise suchten. Es war wahrscheinlich eines der ersten Male, dass ich auf einer queeren abendlichen Veranstaltung war - der Schwerpunkt lag mehr auf der Interaktion mit anderen Menschen - nicht nur der sexuellen, sondern auch auf ehrlichem Interesse und Verbundenheit; es ging darum, die Atmosphäre zu genießen und nicht darum, Alkohol oder Drogen zu konsumieren oder einfach nur zu versuchen, mit jemandem nach Hause zu gehen.
Es sollte noch eine ganze Weile dauern, mir eine eigene Identität zu schaffen und herauszufinden, was ich wirklich wollte, aber der Grundstein für diese Möglichkeiten einer anderen Art von Nachtleben und einer anderen Art, sich zu begegnen, war gelegt.
Wie sah deine Reise innerhalb der schwulen Fetischszene bisher aus?
Haha, das lief alles recht schleppend! Ich bin extrem schüchtern und hatte schon immer Probleme in geselligen Runden und sozialen Situationen, ganz besonders in Clubs und Bars. Seitdem ich vor viereinhalb Jahren trocken geworden bin, hat sich mein Leben sehr verändert. Während ich früher den Alkohol als eine Art Hilfestellung für soziale Aktivitäten benutzt habe, fällt es mir inzwischen sehr schwer, so pur und ohne alles zu agieren.
Anfang 2020 wurde bei mir Autismus diagnostiziert, was mir geholfen hat, meine Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen und der verbalen Kommunikation zu verarbeiten und zu verstehen.
Das hat mich auch darin bestärkt, mir meiner eigenen Grenzen und Bedürfnisse besser bewusst zu werden, was soziale Interaktionen angeht. Ich hoffe, dass ich, wenn die Pandemie abklingt (wenn überhaupt), endlich ein paar Events mit Jungs wagen kann, die ich über Recon und andere Social Media Apps kennengelernt habe.
Weil sich die Fetischszene seit der Pandemie so sehr verändert hat, ist der virtuelle Aspekt etwas, mit dem ich mich seit geraumer Zeit aktiv beschäftige. Ich habe schon einige Gear, Magazine und Merch mit anderen Fetischisten ausgetauscht und mich auch über Messenger mit Leuten unterhalten, die ich gerne auf Events treffen würde, sobald es wieder sicher ist.
Apps wie Recon und Instagram sind für mich von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, mit anderen queeren Jungs, die auf Kink und Fetischkleidung stehen, in Kontakt zu kommen. Und (bis jetzt) hat jeder, mit dem ich interagiert habe, absolut kein Problem damit gehabt, dass ich trans bin. Das ist einfach so gut wie kein Thema.
Wie bist du dazu gekommen, Fetischkleidung zu entwerfen?
Ich habe schon immer gerne schweren und großflächigen Schmuck getragen. Das Gewicht und das Gefühl des Metalls an meinem Körper war schon immer etwas, das mich beruhigt und mir mehr Selbstvertrauen gegeben hat, wenn ich das Haus verlassen habe.
Ich kann mich daran erinnern, wie ich lange Zeit online nach schweren Ketten und anderer Kinkwear gesucht habe, ohne mir jemals auch nur ansatzweise etwas davon leisten zu können. Das meiste kam (damals) aus den USA, so dass zu dem hohen Preis auch noch die Einfuhrsteuer hinzukam.
Also fing ich an, ähnlich aussehende Gegenstände und Materialien in Baumärkten zu suchen und ich kaufte die notwendigen Werkzeuge, um diese Materialien in etwas Körperverträgliches und Tragbares zu verwandeln.
Die Leute fragten mich immer, wo ich meine Gear herbekam und irgendwann dachte ich mir, dass ich einfach damit beginnen sollte, auch andere Leute damit auszustatten, und das zu einem erschwinglichen Preis.
Was inspiriert dich, wenn du Gear herstellst und deine eigene Fetischästhetik kreierst?
So viele Sachen inspirieren mich! Ich mache mir viele Gedanken über meine Ästhetik und kann es kaum erwarten, den Look und das Gefühl eines Outfits zu entwerfen und zu formen. Ich stelle mir vor, wie andere es wahrnehmen werden und wie sich die Kombination von Materialien an mir selbst und an anderen anfühlen wird. (Obwohl das im Moment noch in weiter Ferne liegt...) Besonders angesichts der aktuellen Situation im Rahmen der Pandemie und des Lockdowns ist eines der wenigen Dinge, auf die ich mich freue, der Prozess des Zusammenfügens aller Teile und die Online-Suche nach dem einen kleinen Teil, das einen Look abrundet und vollendet.
Ich nehme an, dass mein eigenes Bedürfnis danach, meine geschlechtliche Identität wertzuschätzen und so einige verlorene Jahre zurückzugewinnen, sowie die verinnerlichte Scham über die eigene Stellung, Männlichkeit und Schönheitsstandards, dazu geführt hat, dass ich viel proaktiver bin, wenn es darum geht, mich so zu präsentieren, wie ich mich innerlich am wohlsten fühle. Im Moment ist das die Skinhead- und die "harte" Sportästhetik.
Es ist mir sehr wichtig, anderen queeren und transsexuellen Menschen Produkte und Gear anzubieten, die ihre Identität würdigen und ihnen ein gutes Gefühl geben.
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, wurde ich definitiv von vielen Fernsehserien und Cartoons beeinflusst, die ich mir immer wieder ansah, wie zum Beispiel "Biker Mice From Mars". Ich bin nach wie vor ein eifriger Sammler von Memorabilien der Serie und du wärst überrascht, wie pervers viele der Outfits sind, in die diese muskulösen Hybrid-Mäuse gesteckt wurden: viel Leder, Biker-Stiefel, Jeans, Harnesse und Bondage-Gear. Ich habe auch Erinnerungen an die " Schurken" aus der "Streets of Rage"-Videospielserie und anderen alten 90er Jahre Beat 'em ups. Sie haben die " Bösewichte" immer in die krassesten Outfits gesteckt - jede Menge Cyberpunk, Punk, Leder und Gear mit Ketten.
Andere Einflüsse, die nichts mit der Kindheit zu tun haben, sind Andy Warlord aus den Tumblr-Tagen, Albino Hector mit seinen Nike TN Masken, George Kanis und natürlich @theafkstorm mit seiner Scally-Ästhetik und dem Club Addict UK. Einfach zu viele, um alle zu erwähnen!
Die Sachen, die ich im Moment herstelle, haben eher einen subtileren Bezug zu queerer Identität und Fetisch. Es fühlt sich gut an, zu experimentieren und zu sehen, was andere darüber denken.
Und welche Gear macht dir bei der Anfertigung am meisten Spaß?
Vor ein paar Monaten habe ich meine erste Maske hergestellt, auf die ich wirklich stolz war. Ich habe sie aus klassischen weißen Nike Socken und Metallringen zusammengesetzt. Das Fertigen von Masken ist etwas, worin ich in Zukunft besser werden möchte, um es im Online Store anbieten zu können.
Ich liebe es, Einzelstücke mit seltenen Gegenständen zu kreieren. Vor kurzem habe ich eine Kette aus Messing mit einem großen, massiven "Master"-Vorhängeschloss aus Messing gebaut, das ich importiert hatte. Es ist wunderschön geworden und es ist etwas, das ich wahrscheinlich nicht noch einmal bekommen werde.
Es ist wirklich etwas Besonderes, diese kleinen Unikate anbieten zu können und es ist schön, dass die Leute die Möglichkeit haben, solche Einzelstücke zu ergattern.
Ich mag es auch sehr, klassische Sportbekleidung in Kinkwear oder Partykleidung zu verwandeln. Kürzlich habe ich Vintage-Gürteltaschen in tragbare Ketten-Harnesse verwandelt. Sowohl kinky als auch praktisch!
Mein Lieblingsteil war ein superrobuster, schwerer Kettenharness aus Metall, mit der Aufschrift " Schwuchtel für immer" auf der Vorder- und Rückseite. Es war ein Einzelstück und die Person, die es bekommen hat, sagte, dass der Harness ihr perfekt passt, was mich unglaublich glücklich macht.
Wie willst du deine Arbeit weiterentwickeln und ausbauen?
Ich bin von einigen anderen kreativen Leuten aus der Kink- und Fetisch-Community angesprochen worden, um mit ihnen zusammenzuarbeiten, was unglaublich toll ist. Da ich wirklich kontaktscheu bin und Schwierigkeiten habe, mich auf Menschen einzulassen, war das für mich immer ein Hindernis bei der Kollaboration. Ich hoffe wirklich, dass ich diese Schwierigkeiten überwinden kann und meine Arbeit mit anderen zusammen herausbringen kann, um ein neues Publikum zu erreichen und mit anderen Künstlern und Kreativen in Kontakt zu treten, vor allem, da alles immer mehr onlinebasiert ist. Es ist auch einfach sehr schön, mit anderen Leuten zu arbeiten und Fotoshootings zu machen. Ich bin immer an den Ideen anderer Leute interessiert!
Meine Hoffnung für die Zukunft ist es, neue, innovativere Ideen und Designs zu entwickeln und den Sprung zu wagen, ein bisschen Geld für neues Equipment auszugeben, damit ich diese Ideen dann auch realisieren und regelmäßiger neue Produkte herstellen kann.
Welche Fetischpläne hast du für die Zukunft?
Ich habe gestern Abend über diese Frage nachgedacht. In einer idealen Welt, in der es keine globale Pandemie gibt und wir nicht jede zweite Woche in den Lockdown geschickt werden, stelle ich mir eine DIY Queer/Trans Fetisch-Nacht vor mit Playrooms, Tanzflächen für Hard House und Techno, Workshops und zu guter Letzt auch Verkaufsständen, damit lokale Anbieter ihre Sachen zeigen und verkaufen können.
Aber um eine etwas konkretere Antwort zu geben, die kein romantisches Ideal beschreibt, hoffe ich wirklich, dass ich (sobald es sicher ist) als Dom in voller Montur Bereiche wie Schlagspiel oder Edging/Folter erkunden kann. Außerdem will ich unbedingt, sobald das Wetter wärmer ist, ein bisschen Outdoor-Spaß und Cruising auf einer öffentlichen Toilette mit einem außergewöhnlichen Typen erleben. ;)
Wenn auch du für ein Mitgliederinterview in Betracht gezogen werden möchtest, sende deinen Recon-Benutzernamen an: social@recon.com
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