MITGLIEDER ARTIKEL: Körperkunst und gesellschaftliche Kontrolle
von
Recon News
16 September 2020
Luca Federici hat unter anderem bei Kunstveranstaltungen wie der FUCK/LIVE/ART (London, kuratiert von Franko B), der Emergency +18 (Manchester), der PervArt (London), der Exhausting the Body (Berlin, kuratiert von Louis Fleischauer) und berüchtigten Fetischclubs wie dem Wasteland (Amsterdam) und dem Torture Garden (London) mitgewirkt.
Der Körper ist seit Jahrhunderten der Ort, auf den disziplinierende Kräfte einwirken. Er ist zu einem Ort geworden, an dem Machtverhältnisse aufeinandertreffen, zu einem Territorium, auf dem soziale, kulturelle und politische Kräfte versuchen, diesen durch Vorschriften, Regeln und Normen zu disziplinieren. Sie durchdringen den Körper. Sie kontrollieren und prägen ihn, überwachen seine Handlungen und Haltungen. Sie formen und manipulieren seine Gedanken, Obsessionen, sexuellen Triebe und Bedürfnisse.
Bei Michel Foucault scheint es ein umfassendes Verständnis darüber zu geben, inwieweit die disziplinarische Kontrolle über den Körper als eine Form der Autorität funktioniert und wie sich Gegner finden, die diese Autorität in Frage stellen und bekämpfen. Wie er bereits in der Geschichte der Sexualität - Der Wille zur Erkenntnis, Band 1 (1998, S. 95) geschrieben hat: "Wo Macht ist, da ist auch Widerstand", was bedeutet, dass Machtverhältnisse Formen von Widerstand und Dissens mit sich bringen, wobei der in der Kunst dargestellte Körper oft die Form des Widerstands annimmt, eine Entität, die gesellschaftliche Konventionen und Normen in Frage stellt. Das heißt, im Laufe der Geschichte haben Körperkünstler wie Gina Pane, Rudolf Schwarzkogler, Ana Mendieta, Vito Acconci, Franko B, Ron Athey, um nur einige zu nennen, mit masochistischen Handlungen Einfluss auf ihren Körper genommen, als Manifestation der Verweigerung der Regeln, die den Körper disziplinieren sollen. Sie haben provozierende Aktionen inszeniert, um die etablierten gesellschaftlichen Normen, die den Körper, das Geschlecht und die Sexualität kontrollieren, in Frage zu stellen.
Ich habe 2015 während meines Besuchs am Chelsea College of Fine Arts and Design angefangen, meinen Körper als künstlerisches Medium zu verwenden. In meinen Kunstaktionen wird der Körper in einen Ort verwandelt, der mit heftigen BDSM- und Körpermodifikationspraktiken wie Piercen, (Selbst-)Geißelung, Aufhängung an Haken, Mumifizierung und Aufschlitzen erschlossen wird. Ich sehe diese Praktiken als mächtige Mittel, um wieder in den Besitz des eigenen Körpers zu gelangen und meine Aktionen als Formen des politischen Dissens gegenüber der Macht, die den Körper kontrolliert.
Im Jahr 2017 habe ich eine Performance überarbeitet mit dem Titel "Revelation/Passages" (Offenbarung und Wechsel), die 2015 am Chelsea College zum ersten Mal aufgeführt wurde. Bezugnehmend auf die schrecklichen Ereignisse, die sich in Tschetschenien ereignet haben, als Homosexuelle in die Todeslager geschickt und gefoltert wurden, habe ich eine Aktion inszeniert, um meine Ablehnung auszudrücken angesichts des Unrechts, dem diese Menschen aufgrund ihrer Sexualität ausgesetzt waren. Ich schnitt mir mit einem Skalpell in den Oberkörper, "zeichnete" drei umgedrehte Dreiecke, das Symbol der Homosexuellen während der Nazizeit, stach mir wiederholt in die Stirn und peitschte mir den Rücken aus, so hart ich konnte. Ich goss etwas weiße Farbe über meinen Körper und wiederholte die Akte des Piercens und der Selbstauspeitschung. Am Ende goss ich einen ganzen Liter meines eigenen Blutes über meinen Körper und wickelte mich in Frischhaltefolie ein.
Die Darstellung meines verwundeten Körpers kann als Ausdruck der Ablehnung der politischen und sozialen Kräfte verstanden werden, welche diejenigen terrorisieren, die als andersartig gelten. Die selbst zugefügten Wunden werden zu Mitteln der Kommunikation. Es ist nicht meine Absicht, zu schockieren, während ich meinem Körper Schmerzen zufüge, sondern ich möchte vielmehr mit der Außenwelt kommunizieren. Mein verwundeter Körper wird zum Gefäß, zum Medium, um sich mit den anderen Menschen (dem Publikum) zu verbinden, indem ich Gefühle und Emotionen, Schwäche und Verletzlichkeit des Körpers durch Narben und andere selbst zugefügte masochistische Handlungen sichtbar mache. Die Aktionen, bei denen mein Körper blutet und verwundet wird, sind Akte der Vernetzung, Wege, den inneren Teil von mir mit dem Äußeren zu verbinden, einen Kontakt mit den Zuschauern herzustellen. Ich versuche, die Leute etwas fühlen zu lassen. Ich möchte, dass sie über die Gefahr nachdenken, der wir tagtäglich in einer Welt ausgesetzt sind, die immer intoleranter gegenüber jenen zu werden scheint, die eine andere sexuelle Orientierung, einen anderen Glauben oder eine andere ethnische Zugehörigkeit haben. "Revelation/Passages" war eine Aktion, die die Ablehnung gegenüber jenen Autoritäten zeigen sollte, die einige sexuelle Orientierungen als abnormal und regelwidrig definieren und sie verurteilen.
Sexualität wird schon lange von der Medizin und der Gesellschaft instrumentalisiert, um den Körper zu kontrollieren. Mit anderen Worten, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts haben medizinische Institutionen die Sexualität zu einem Gegenstand der Forschung gemacht, wodurch Kategorien und Definitionen geschaffen wurden, um Individuen entsprechend ihres Sexualverhaltens zu identifizieren. Sie klassifizierten und spezifizierten einige Formen der Sexualität, wie Homosexuelle oder Fetischisten, als Devianz und Anomalie. Sie erstellten Klassifizierungen und Spezifikationen von verbotenen Perversionen, die von der Gesellschaft benutzt werden, um Individuen zu verfolgen und Macht über ihre Körper auszuüben.
Wie Michel Foucault (1998, p. 43) es beschreibt:
"Diese neue Verfolgung der peripheren Sexualitäten brachte eine Einverleibung der Perversionen und eine neue Charakterisierung der Individuen mit sich. Wie in den antiken bürgerlichen oder kanonischen Gesetzbüchern definiert, stellte die Sodomie eine Kategorie der verbotenen Handlungen dar; ihr Urheber war nichts anderes als ihr juristischer Gegenspieler".
Oder anders ausgedrückt, es wird argumentiert (Foucault, 1998), dass Regierungen anfingen, mit medizinischen Institutionen zusammenzuarbeiten und dass Sex Teil dieser Machtmechanismen wurde, die über die Bürger ausgeübt werden. Bezeichnungen für "regelmäßiges" und "unregelmäßiges" Sexualverhalten, "normales" und "anormales" Sexualverhalten, konstruierte Diskurse, Wissen und Urteile, die von den Institutionen und den Staaten zur Disziplinierung des Körpers verwendet wurden. Die Begriffe "unregelmäßig" und "anormal" bezogen sich auf all jene Sexualformen und Sexualverhalten, die nicht unter die Reproduktionsfunktion fallen. Kurz gesagt, die Gesellschaft und die Medizin haben eine Disziplinarmacht geschaffen, die auf Heteronormativität beruht.
Die Disziplinarmacht überwacht, analysiert und reguliert den Einzelnen. Sie verfügt über den Körper als eine Form der Autorität, um unterwürfige Subjekte hervorzubringen und zwar so, wie es Foucault in Discipline and Punish - The Birth of the Prison (Disziplin und Strafe - Die Entstehung der Gefängnisse, 1995) als "gefügige Körper" definiert. Ein gefügiger Körper ist ein Körper, der unter der Kontrolle der Disziplinarmacht steht, die von Institutionen wie Gefängnissen, Schulen, Krankenhäusern, Armeen ausgeübt wird, durch "...Zeitpläne, Bewegungszwang, regelmäßige Tätigkeiten, isolierte Meditation, gemeinsame Arbeit, Schweigen, Fleiß, Ehrfurcht, gute Gewohnheiten...". (1995, S. 128) Sie unterwerfen den Körper mit Vorschriften und Regeln, die ihn formen, analysieren und klassifizieren.
Basierend auf dem Werk Discipline and Punish habe ich eine Performance namens EXECUTION produziert. Die zweieinhalbstündige Performance fand im Rahmen der Ausstellung "Exhausting the Body" (Berlin, Juli 2019) statt, die von Louis Fleischauer organisiert wurde und bestand aus Bewegungseinschränkungen, Schmerzen und Kondition mit Repetitionen. Während der Aufführung fesselte ich meine Beine und meine Hüfte, stach mir in die Stirn und umwickelte mein Gesicht mit Frischhaltefolie, bis ich kaum noch atmen konnte. Meine Arme waren hochgereckt und hielten einen Gürtel fest. Das Ziel war es, still zu halten. Hätte ich meine Arme bewegt oder die Frischhaltefolie entfernt, weil ich nicht mehr atmen konnte, hätte ich die Nadeln von meinen Unterarmen entfernt, meine Arme durchbohrt und meinen Rücken immer härter und härter ausgepeitscht. Danach hätte ich mir wieder die Stirn gepierct, mein Gesicht eingewickelt und wieder versucht, mit den Armen nach oben bewegungslos zu bleiben und den Gürtel zu halten. Hätte ich mich bewegt, hätte ich die oben genannten Handlungen immer und immer wieder wiederholt.
Der gefolterte Körper, der in meinen Aktionen enthüllt wird, wird zum Medium, das den Zweck hat, die Beziehung zwischen sozialer Macht und dem Körper hervorzuheben. Ich habe versucht, das Ausmaß der Disziplinierung und Unterwerfung des Individuums durch Regeln und Normen, die von der Gesellschaft auferlegt werden, hervorzuheben. Ich habe einen Körper präsentiert, der physische Schmerzen aufwies und ihn in einen Beweis und eine Demonstration der Macht, die die Regeln und Normen über den Körper definieren, verwandelt.