ISSUE_02: Die Zukunft ist Schwul

ISSUE_02: Die Zukunft ist Schwul

von Recon News

16 September 2019

Von FlyBoyChi

Ich werde nie den Moment vergessen, als ich bei meinem ersten Machester Rubbermen-Wochenende auch mein erstes Gummi-Korsett entdeckte. Für mich waren Fetisch und Fashion schon immer eng miteinander verknüpft, doch vor diesem Moment hatte ich mich nie einer Gruppe zugehörig gefühlt und mich immer in verschiedene Formen pressen lassen, in die ich gar nicht passte. Ich probierte mehrere Stile aus - Lederkerl, Militärstyle und sogar Sportswear - fühlte mich aber nie wirklich verkörpert durch diese Rollen. Es war diese Entdeckung, das Rubber-Korsett, dieser Moment von Klarheit; ein Moment, in dem es mir so vorkam, als ob sich alle Facetten meines Lebens, der Mode, des Fetisch und die verinnerlichten Träume meiner eigenen Identität treffen würden. Du musst wissen, ich verstehe mich selbst als schwul und gender-non-konform. Diese Identität ist meine eigene und wäre ohne viel Experimentieren und Exploration niemals ans Licht gekommen. Nach dieser Begebenheit wurde ich selbstbewusster, den Aspekt Fashion in meinen Fetisch zu integrieren. Ich traf auf schwule Künstler, die Rubbersachen produzierten und designten und erlaubte mir selbst, mich frei zu entfalten, ohne Rücksicht auf Normen und Regeln.

Durch meine Arbeit reise ich sehr viel, was mir wiederum erlaubt, ein Netzwerk von Freunden in den verschiedenen Fetisch-Gemeinschaften weltweit zu haben. Während des Reisens habe ich ebenfalls die Möglichkeit, mehrere Fetisch-Events zu erleben. In diesem Jahr war ich wahnsinnig gespannt auf die erstmalige Teilnahme an einer bestimmten Veranstaltung. In Vorbereitung darauf ließ ich mir einen extra für mich designten Gummi-Turnanzug anfertigen. Dieses Kleidungsstück war vom Stil her vergleichbar mit dem, was ich zum Mister International Rubber-Wettbewerb im letzten Herbst getragen hatte. Um dieses Outfit abzurunden, nahm ich mir mein schönstes Paar Pleaser Heels und zog mir lange, schwarze, hautenge Gummihandschuhe an.

Am Abend des Hauptwettbewerbs der Veranstaltung trat ich also auf in meinem Outfit, fühlte mich toll und selbstbewusst, doch konnte unverzüglich ihre Blicke spüren. Ich bin schon relativ groß, aber durch die High Heels konnte ich in die Menge sehen; ihre Blicke; teils von Entsetzen, teils von Ekel erfüllt. Diese ganzen starrenden Leute wirkten auf mich beinahe lähmend. Zwar waren das nicht alle, doch auf jede Person, die Gefallen daran fand, kamen zehn oder mehr Menschen, denen eine Frage ins Gesicht geschrieben stand: „ Was machen die hier?".

Ich habe eine ziemlich dicke Haut entwickelt - eine Rüstung, wenn man so will - weshalb mir ein solches Gefühl nicht fremd war, doch in diesem speziellen Augenblick war es einfach überwältigend. Dieser Vorfall und das, was er mit mir machte, ließen mich nachdenken darüber, wie jemand, der beispielsweise erst kürzlich in die Gemeinschaft eingetreten ist, reagieren würde, wenn er eine ähnliche Erfahrung machen würde.

Durch das momentane politische Klima wenden sich Schwule, Tunten, Weiber, Non-Binäre und Genderqueere der Fetisch-Community als Zugang zur Selbstentfaltung in einer sonst sehr repressiven Welt zu. Fetisch ist ein Ort, an dem man Trost, Klarheit und Gemeinschaft finden und erleben kann. Was sagt das also über unsere Gemeinschaft aus, wenn wir diese Menschen nicht mit offenen Armen empfangen? Es gibt auch immer noch Räume, die von Natur aus ausgrenzend sind. „Nur für Männer"-Lokalitäten zum Beispiel, die Trans-Männer ausschließen oder es nicht erlauben, dass Frauen auch Männer sein können.

Es gibt Vorfälle, bei denen diese Personen aufgrund dieser Hausregeln rausgeworfen wurden - das ist definitiv nicht das, was diese Community ausmacht, beziehungsweise nicht die Art von Community, deren Teil ich sein möchte. Die Gemeinsamkeit von Fetisch und Kink geht über die Grenzen von schnöden Grundsätzen und Regeln hinaus und die Aufnahme oben genannter Personen bereichert einfach nur diese Räume.

Schwule, Tunten, Weiber, Non-Binäre, Genderqueere und Transsexuelle haben ihren jeweiligen Teil zur Fetisch- und Kink-Kultur beigetragen und haben auch das Recht, diese Räume zu bewohnen. Es gibt genug Freiräume für jeden und je früher wir damit anfangen, das zu realisieren, desto früher können wir als Gemeinschaft gemeinsam wachsen und uns entfalten, sodass wir stärker für die Zukunft gewappnet sind.

Es ist an der Zeit, einladender zu werden und jeden in unsere Räume aufzunehmen, der dazugehören möchte. Unsere Gemeinschaft ist effektiver und bedeutsamer, wenn wir alle Mitglieder willkommen heißen. Ich sage das mit tiefster Überzeugung: Die Zukunft ist Schwul und die Zukunft ist hier. Trans, homosexuell, bisexuell, lesbisch, non-binär und nonkonform - Schwuler, Weib, Tunte, Puppy, Alpha, Händler, Beta, Gamma, Sklave, Master, Sir, Mistress, Daddy, Boy, Girl, Gimp und alles und jeder dazwischen. Fetisch ist für Dich da. Kink ist für Dich da. Dieser Freiraum ist für Dich da. Dieses Magazin ist für Dich da. Und diese Welt ist für Dich da. Eine bescheidene Meinung eines bescheidenen, schwulen Fetischisten.

Recon ISSUE_02 enthält neben diesem Artikel auch viele weitere Beiträge, Fotografien und Kunst mit dem Schwerpunkt Fetisch und Kink und ist verfügbar an mehreren für Fetisch bekannten Orten auf der ganzen Welt und bald auch online.

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